Nachbericht zum „Hochsauerlandgespräch mit Peer Steinbrück:
Südwestfalen – Stark, Weltoffen und Bodenständig“ Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Bedeutung der mittelständischen Industrie und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Stärken sowie Perspektiven der Region Südwestfalen wurden im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Hochsauerlandgespräch“ des Landesbüros NRW der FriedrichEbert-Stiftung debattiert. Besondere Aufmerksamkeit erhielt auch die vierte Podiumsdiskussion des Hochsauerlandgespräches „Südwestfalen – Stark, Weltoffen und Bodenständig“, zu der das Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung am 17. April in das Kreishaus Meschede einlud. Der Einladung folgten rund 140 interessierte Bürger/innen.
Als Impulsreferent und Gesprächspartner war der ehemalige Bundesminister für Finanzen sowie ehemalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Peer Steinbrück MdB geladen. Die Moderation der Veranstaltung hatte Dirk Wiese MdB inne. Begrüßende Worte fand Landrat Dr. Karl Schneider, der Südwestfalen als eine „Vorbildregion“ hervorhob. Zentrales Thema dieses Hochsauerlandgespräches war zunächst der generelle Dialog über die Region Südwestfalen und ihrem Potential als drittstärkste Industrieregion Deutschlands. Denn eine starke Wirtschaftskraft wird dort vor allem durch mittelständische Unternehmen geprägt. Um die Standorterhaltung der Region langfristig zu gewähren, wurde auch über die gleichzeitige Notwendigkeit des Ausbaus von Infrastruktur sowie dem verantwortungsvollen Umgang mit dortig vorhandenen Ressourcen debattiert. Denn soziale Gerechtigkeit kann nur durch nachhaltige Wirtschaft gefördert werden.
Peer Steinbrück, der bereits viele positive Erinnerungen mit dem Sauerland verbindet, leitete ein, dass – ganz allgemein betrachtet – Deutschlands Regionen durchaus mit der Welt von „Alice-im-Wunderland“ verglichen werden können. Das soll heißen: Deutschlands Regionen geht es gut. Dabei führt Steinbrück fünf Gründe an.
Zunächst bleibt die industrielle Wirtschaftskette durch die Industrie erhalten, es gibt ein starkes Segment des Mittelstandes, „eine noch funktionierende Infrastruktur und besonders wichtig, der soziale Frieden ist gewahrt“, äußerte sich Peer Steinbrück. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen sei, dass in den vergangenen Jahren gelungene politische Entscheidungen gefällt worden sind, wie z.B. die „Reformagenda 2010“ unter Gerhard Schröder.
Steinbrück sieht jedoch ein Problem darin, dass man die gerade angeführten fünf Faktoren für zu selbstverständlich nehme. Man sehe Deutschland zunehmend „als Komfortzone“ an, doch diese „fünf Faktoren sind keine Selbstverständlichkeit“. Selbst als Vize-Exportweltmeister dürfe man „sich nicht ausruhen“. Steinbrück plädiert für die Erhaltung der Dynamik der deutschen Gesellschaft. Er führt weiterhin an, dass Deutschland „seit 15 Jahren zu wenig investiert“. Jährlich würden rund 2% des Bruttosozialproduktes zu wenig für Investitionen verwendet, das sind immerhin etwa 50 Milliarden Euro jährlich. Vor allem im Bereich Bildung, denn „Bildung ist der Schlüssel zum Wohlstand“, so Steinbrück.
Problematisch sieht Steinbrück zudem, dass der Fachkräftemangel immer mehr zunimmt. Dies sieht er durch eine anhaltende Veränderung der Altersentwicklung negativ beeinflusst: In einer immer älter werdenden Gesellschaft wird das Modell des Generationenvertrages immer schwieriger weiterzuführen sein. Das Verhältnis von Einzahlern und Beziehern in die Rentenversicherung „liegt aktuell bei 3:1“. Vergleicht man dieses Verhältnis zu früher (7:1), sind die Einzahler heute deutlich schwerer belastet. Steinbrück führt zudem aus, dass sich die durchschnittliche Bezugsdauer der Rente (von früher 7-8 Jahren) heute ebenfalls fast verdoppelt hat. Insgesamt hat sich also nicht nur das Einzahler-Bezieher-Verhältnis verschlechtert, hinzukommt, dass die Einzahler die älteren Generationen deutlich länger in diesem System mittragen müssen. Im Zuge der Problematik des Fachkräftemangels fordert Steinbrück ganz klar, dass Deutschland Einwanderungskräfte benötigt, um zukünftig den Fachkräftemangel flächendeckend ausgleichen zu können.
Gleichzeitig begrüßt er ein Einwanderungsgesetz, denn „Deutschland ist Einwandererland“. Auch Moderator Dirk Wiese unterstützt diese These, denn „wer als junger Flüchtling eine Ausbildung hat, soll ein Bleiberecht bekommen.“ Bis 2030 werden 6 Millionen Beschäftige aus dem „Einzahler-System“ ausscheiden, sodass der Mangel an Fachkräften gut durch Zuwanderung ausgeglichen werden könnte.
Auch die Digitalisierung wird zukünftig viel verändern, was gerade mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen stellen wird. In Punkto schneller Internetverbindung „hängt Deutschland hinterher“, so Steinbrück, denn im europäischen Vergleich ist z.B. das rumänische Netzwerk durchschnittlich schneller. Peer Steinbrück stellte fest, dass die deutsche Infrastruktur mehr und mehr verfällt. Daher fordert er „flächendeckende Investitionen in die Infrastruktur“, sonst werde es zu gehäuften Standortverlagerungen in Ballungszentren von Unternehmen und Bevölkerungsteilen kommen.
Konkret auf die Region Südwestfalen bezogen rückte Peer Steinbrück Fragen in den Fokus, wie man die Region attraktiv hält und einen Bevölkerungsrückgang in den Kommunen verhindert. Peer Steinbrück betonte besonders dahingehend, dass die Politik auf ein gegenseitiges Zusammenspiel mit der Bevölkerung angewiesen ist.
Peer Steinbrück beendete sein Impulsreferat hoffnungsvoll: Die Südwestfalener seien doch schon „ganz gut“.
In der der anschließenden Diskussionsrunde kam ganz konkret die Frage auf, wie man die Region Südwestfalen ideenreich attraktiver gestalten könnte. Der Referent Steinbrück verweist dabei noch einmal darauf, dass ein flächendeckender Ausbau der Infrastruktur stattfinden muss, um Anbindungen zu Ballungszentren wie Köln einfacher zu gestalten. Zudem sei „eine Verbindung von Bildung und Wirtschaft“ unabdingbar. Dirk Wiese konkretisiert dies mit einigen Beispielen: „mehr Chancen für junge heimische Unternehmen durch lokale Gründerfonds“, „Azubi-WG’s“, „Ausbildungsfonds mit hiesigen Kreditgebern“. Man werde sich zukünftig intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen.
Auf die Frage nach Ursachen von Lehrstellenmangel antwortet Steinbrück, dass diese Lücke zunächst zustande kommt, weil viele Jugendliche nicht mehr den Qualifikationsanforderungen der Unternehmen genügen. Durch wenig Flexibilität seitens der heutigen Jugend stimme das Angebot mit der Nachfrage im Ausbildungsbereich nicht mehr überein. Zudem sei ein „Attraktivitätsschub von Ausbildungen nötig, denn nicht jeder kann akademisiert werden.“
Als Fazit waren sich die Diskutanten einig, dass die Region Südwestfalen in den nächsten Jahren durchaus vor vielen demographischen Herausforderungen stehen wird. Konkret werden Projekte geplant, um die Standorterhaltung der Region zu gewährleisten, immer mit dem Ziel, Attraktivität und neue Anreize für den Standort Südwestfalen zu schaffen.
Text: Leonie Kutz
Redaktion: Martin Weinert, Friedrich-Ebert-Stiftung