Einen schönen guten Tag ins wunderschöne Sauerland aus dem entfernten Iowa

6. Februar 2016

Mein Name ist Jonas Wahle. Ich bin diesjähriger Teilnehmer des Parlamentarischen-Patenschafts Programm. Dies ist ein Austauschprogramm des deutschen Bundestages und des amerikanischen Kongresses und gibt jedes Jahr  75 jungen Deutschen und 75 jungen Amerikanern die Chance die Länder zu wechseln und eine einzigartige neue kulturelle Erfahrung zu machen. Sei es durch das studieren am College, dass Arbeiten in einem amerikanischen Unternehmen oder das Leben in einer Gastfamilie. Man gewinnt Einblicke in ein völlig neues Leben, lernt neue Leute kennen und verbessert nebenbei noch sein Englisch. Somit darf ich also als “junger Botschafter“ für ein Jahr Deutschland in den Staaten repräsentieren. Diese Möglichkeit habe ich Herrn Dirk Wiese zu verdanken, der mich für dieses Programm ausgewählt hat. Als er mich dann gefragt hat ob ich für seine Homepage einen kurzen Bericht über die beginnenden Vorwahlen in Amerika schreiben würde, war es für mich natürlich eine Selbstverständlichkeit die folgenden Zeilen zu verfassen um das Wahlsystem auch in Deutschland einmal zu erklären.

jonaswahle-caucus2Aber jetzt mal von vorne. Im letzten Sommer habe ich die Nachricht bekommen, dass ich mein Auslandsjahr in Iowa verbringen werde, genauer gesagt in Mason City im Norden Iowas. Mit ca. 27000 Einwohnern eine der größten Städte in Nord Iowa. Als ich hier ankam wusste ich nicht viel über diese neue Gegend. Das einzige was man weit und breit sieht ist Mais. Mais wohin das Auge reicht. Aber mir wurde nach und nach immer bewusster wie wichtig Iowa für die kommenden Präsidentschaftswahlen ist. Es ist DER politische Hotspot in Amerika wenn es um die bevorstehenden Wahlen geht. Das liegt daran, dass Iowa traditionell der erste Staat ist, indem die Vorwahlen, oder wie es hier heißt der Caucus, beginnen und somit ein erster Indikator für den Standpunkt der Kandidaten. Eine Art Fundament auf das sich aufbauen lässt. Es stehen über das Frühjahr und den Sommer aber immer noch genug weitere Staaten aus. Nach mehrmonatigem Wahlkampf war am 1. Februar dann endlich der Caucus. Weiter geht es in New Hampshire am 9. Februar. Am 1. März ist dann der „Super Tuesday“ an dem 14 weitere Staaten und American Samoa wählen, ehe am 14. Juni der District of Columbia die Vorwahlen beschließt. Viele der Kandidaten sind schon seit fast einem Jahr unterwegs um sich bekannter zu machen, oder auch um Geld für Ihren Wahlkampf zu generieren. Den genauen Ablauf des Caucus erläutere ich weiter unten noch etwas genauer, aber vorerst fokussiere ich mich auf alles was vorher noch passierte und im Rest von Amerika immer noch anhält, nämlich den eigentlichen Wahlkampf.

Richtig los ging es erst im Spätsommer letzten Jahres. Als ich mehr und mehr realisierte wie wichtig Iowa werden wird, wurde das ganze für mich als politisch aufgeschlossenen jungen Deutschen hochinteressant und ich habe den kommenden Monaten begeistert entgegen geblickt. Auch wenn ich als Deutscher natürlich auf der Seite der Demokraten stehe habe ich mir natürlich auch die republikanischen Kandidaten angehört. Zum einen weil es einfach faszinierend ist so nah am Geschehen zu seien und zum anderen wollte ich mir natürlich eine adäquate eigene Meinung bilden um mitreden zu können. So war mein erster Kandidat den ich sehen durfte Jeb Bush. Viele werden jetzt denken „Oh bitte nicht schon wieder ein Bush“, aber ich habe mir sagen lassen, er ist eher einer der gemäßigten Republikaner und  prescht nicht total unüberlegt nach vorne, wie es so manch anderer gerne macht. Ein paar Tage später stand Bernie Sanders auf meinem Plan. Er war auch der erste Kandidat von vielen, den ich nach seinem Plan in Bezug auf Europa, die Refugee Crisis und TTIP fragen konnte. Darauf hat er leider nur sehr allgemein geantwortet und es als Problem dargestellt welches uns alle betrifft und verursacht wurde durch den Irakkrieg, gegen den er damals gestimmt hat. Außerdem hat er mich als Beispiel benutzt, dass es bei uns in Deutschland und Europa schon sein so viel beschworenes gebührenfreies College gibt. Auch ich habe mich von seinem Enthusiasmus und neuen Ideen vorerst beeinflussen lassen und den „Bern“ gespürt und gesehen wie er die Menschen mitzieht, wie es schon Barack Obama vor acht Jahren geschafft hat. Aber ich habe ihn mir dann noch einmal genauer angeschaut. Seine Ideen sind zwar gut und schön, aber an den Plänen für seine Umsetzung hapert es. Es ist z.B. nach meiner Auffassung einfach nicht möglich in Amerika ein gebührenfreies College zu etablieren. Dieses System hat sich über Jahrzehnte in Deutschland entwickelt und kann nicht einfach so übertragen werden, in ein Land in dem es die Leute gewöhnt sind sehr geringe Steuersätze zu zahlen. Ohnehin gibt es vergleichsweise mehr Studenten als bei uns, da es hier kein Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt, sondern ein Großteil der High-School Absolventen ein College besucht.

jonaswahle-caucus3Somit bin ich dann auf Martin O´Malley gestoßen. Er ist neben Bernie und Hillary der Underdog der Demokraten und wird leider von den Medien hier fast ignoriert und ich bezweifele das er in Deutschland überhaupt bekannt ist!? Ich habe mich dennoch für ihn entschieden und bin auch als Freiwilliger in seiner Kampagne aktiv gewesen. Er will anstatt ein gebührenfreies, ein bezahlbares College etablieren, also angemessene Zinssätze auf Collegekredite, eine schrittweise Anhebung des Mindestlohns (er liegt in Iowa bei nur $ 7,25) und er ist bereit mehr Flüchtlinge als bisher vom Kongress angedacht, in Amerika aufzunehmen. Dies sind nur einige seiner vielen Ideen, die er schon als Bürgermeister von Baltimore und Gouverneur von Maryland in die Tat umgesetzt hat. So war ich also diverse Male für ihn Door-Knocken. Noch eine sehr spezielle Sache in dem Wahlkampf hier. Man geht von Haus zu Haus (in diesem Falle nur zu denen die beim letzten Caucus als Demokrat gelistet waren) und fragt die Bewohner ob sie planen zum Caucus zu gehen und ob sie schon von O´Malley gehört haben. Noch etwas Spezielles sind die Phonecalls. Hier werden die o.g. Personen von Leuten der Kampagne angerufen und man versucht sie per Telefon von dem entsprechenden Kandidaten zu überzeugen. Das ganze hat natürlich auch eine Struktur. Es gibt für die verschiedenen Kampagnen einen State Coordinator, der verschiedene Leiter in einzelnen Bereichen von Iowa hat. Diese stehen dann in Kontakt mit den County Koordinatoren, die im Schnitt um die 3-4 Counties  organisieren. Und diese haben dann noch ihre freiwilligen Helfer wie z.B. meine Wenigkeit. Diese Wahlkampfmaschinerie existiert in dieser komplexen Form aber auch nur in Iowa und New Hampshire. Deshalb ist diese Erfahrung die ich hier machen kann definitiv sehr einzigartig und besonders interessant. Auch noch erwähnenswert ist, dass hier einige Leute Schilder im Garten oder am Fenster stehen haben um ihre favorisierten Kandidaten zu unterstützen. Auch Autosticker sieht man diverse durch die Gegend fahren.

Wie schon erwähnt gibt es natürlich neben der blauen Fraktion auch mehr als genug Kandidaten der roten Fraktion, also den Republikanern. Leider kann man bei diesen vielen Bewerbern für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika leicht den Überblick verlieren. Nach meinem letzten Stand, sind es um die ca. 10 Kandidaten auf der republikanischen Seite die sich zur Wahl stellen. Mit Ausnahme von Ted Cruz habe ich auch alle größeren Kandidaten live sehen können. So z.B. Donald Trump, Marco Rubio oder Chris Christie. Im Grunde haben sie alle ein gemeinsames Wahlprogramm was sich allerdings stark in den Extremen differenziert. Am Besten zu sehen bei Trump oder Cruz. Es ist schon erstaunlich wie viele Leute so naiv einer Person wie Donald Trump folgen. In nur knapp 5 Minuten beteuert er wie viele mexikanische Freunde er hat und viele gute Mexikaner in seinen Diensten stehen, aber auf der anderen Seite seine Mauer zu Mexiko unabdingbar ist. Noch dazu wird er auf seinen Veranstaltungen gefeiert wie ein Pop-Star. Aber zurück zum Wahlprogramm. Der Grundsatz ist einfach. „Obama Care“ muss wieder abgeschafft werden und Waffen in der Hand von Zivilpersonen sind unumgänglich. Je mehr desto besser. Denn nur so kann gewährleistet sein, dass ein Attentäter oder ähnliches direkt von genügend Zivilpersonen zur Rechenschaft gezogen werden kann.  Und ach ja, Klimawandel hin oder her – muss man ein Auge drauf halten  – aber erstmal kann man ja noch munter die von Gott gegebenen Ressourcen verpulvern. Der Deal mit Iran sollte auch am Besten wieder rückgängig gemacht werden und die Sanktionen wieder in Kraft treten. Es gibt aber auch in den Reihen der Republikaner durchaus positive Ansätze. So punktet Rubio z.B. auch mit einem erschwinglicherem College und Christie war der einzige Kandidat, der die Muslime in seinem Staat New Jersey, als gut integrierten und hart arbeitenden Teil der Bevölkerung bezeichnet hat (New Jersey hat einen der höchsten Anteile von Muslimen in der Bevölkerung in Amerika).

Aber nun zum eigentlichen Caucus. Ein Prozess um einen Präsidentschaftskandidaten zu wählen den ich in so einer Form noch nicht gesehen habe. Hochinteressant, aber auch hochkomplex und kompliziert. Erst einmal geht es damit los, dass nur einige Staaten der USA überhaupt einen Caucus haben. Die allermeisten wählen nämlich nur über einfache „Primaries“. Dass sind simple Stimmzettelwahlen wie wir sie auch in Deutschland kennen. Weiterhin ist der Caucus noch einmal zwischen Demokraten und Republikanern zu unterscheiden. So findet der demokratische und republikanische Caucus mancherorts nicht einmal am gleichen Tag statt, oder sogar in anderen Monaten. Darüberhinaus ist der republikanische Caucus im Prinzip nur eine Wahl mit Stimmzetteln, der demokratische Caucus aber das zuvor schon erwähnte hochkomplexe Prozedere.

Los geht es wie auch in Deutschland damit, dass man einen Brief bekommt, mit der Information sich an entsprechendem Tag zur entsprechenden Wahllokalität zu begeben (Es gab für die Demokraten  vier in Mason City). Ich war mit meinem Gastvater in einer Schule. Am Eingang musste man erst einmal nachsehen in welchen der drei Räume man gehen muss. Dies ist entsprechend des Wohnortes unterteilt. Bevor man den Raum betrat, musste man sich noch in eine Art Anwesenheitsliste eintragen. Diese basiert auf den Daten der letzten Wahl. Man kann sich natürlich auch um entscheiden und anstatt zum demokratischen zum republikanischen Caucus zu gehen und sich dort listen lassen. Da es für beide Seiten allerdings andere Wahllokale gibt, muss man sich vorher sicher sein, zumindest für welche Seite man sich entscheidet. Um 19 Uhr wurden dann die Türen geschlossen und es ging los. Nach vielen Formalitäten hatten die Wähler 30 Minuten Zeit sich für ihren Kandidaten zu entscheiden. Das bedeutet wiederum, dass man sich für seinen entsprechenden Favoriten in die dafür vorgesehene Ecke des Raumes begibt. Es ist also definitiv keine geheime Wahl. Die Unentschlossenen werden danach auch noch umworben, damit sie sich zu einem Kandidaten bekennen und somit mehr Stimmen erzielt werden. Jetzt werden die Personen gezählt. Da es hierfür keinen festen Ablauf gibt, war es sehr amüsant mit anzuschauen wie 38 Bernie Wähler und 37 Hillary Unterstützer versuchten ihre definitive Personenanzahl zu ermitteln. O’Malley scheiterte leider an der 15% Hürde. Diese besagt, dass wenn ein Kandidat in einem Raum nicht mindestens 15% aller Anwesenden Stimmberechtigten (ich war also leider ausgeschlossen und neben mir gab es leider nur 2 weitere) um sich vereinen kann, dann ist er nicht wählbar. Diese Personen können sich dann entscheiden ob sie zu einem anderen Kandidaten wechseln möchten, oder einfach den Raum verlassen.

Weiter geht’s. Nachdem Bernie und Hillary nahezu gleich viele Personen von sich überzeugen konnten, bekommt jeder von ihnen einen prozentualen Anteil der Delegierten für die County Convention. Hierzu komme ich später. Die Anzahl der Delegierten pro Wahlraum richtet sich nach Einwohnern im Wahlbezirk. In dem Bezirk in dem ich lebe sind dies 12. Da die beiden verbleibenden Kandidaten nahezu gleich auf waren, bekam jeder von ihnen 6 Delegierte. Diese mussten natürlich auch erst wieder ernannt werden und das mit passendem Vertreter. Bei Stimmgleichheit und einer ungeraden Anzahl von Delegierten entscheidet die Münze. Auch mal was neues. Das O’Malley also nur 0,6% der Stimmen in Iowa bekam und nicht am zweistelligen Bereich kratzte wie er es in den Umfragen zuvor getan hat, lag also vor allem an besagter 15% Regel. Und dieses hin und her war nur der Anfang des ganzen Wahlprozesses. Wir haben ja immer noch die Delegierten. Alle Delegierten aus den jeweiligen Counties (Iowa ist unterteilt in 99 Counties – ähnlich eines Landkreises) kommen Ende Februar noch einmal zusammen und wählen erneut in beschriebenen Ablauf und bekommen wieder Delegierte die sich im März noch einmal treffen um auf Distriktebene (Iowa ist weiterhin in 4 Distrikte gegliedert) ein weiteres Mal zu wählen, ehe über den eigentlichen Iowa Kandidaten abgestimmt wird. Am Ende dieses langwierigen Prozesses steht dann endlich im Sommer die Wahl zum Landesweiten und finalem Kandidaten und im November dann die eigentliche Präsidentschaftswahl. Um das ganze dann noch einmal verwirrender zu gestalten, sind die Delegierten aber immer noch frei in ihrer Meinung und können immer noch auf einer höheren Wahlebene ihren Kandidaten des Vertrauens wechseln, z.B. falls sie durch irgendwelche noch unaufgedeckten Skandale ihr Vertrauen verlieren.

Soweit also zur Politik in Amerika…

Falls Sie noch mehr Interesse an meinem Leben in Amerika haben, finden Sie hier einen Link zu meinem Blog: www.32ppp.de/jwahle/

Viele Grüße aus Iowa ins Sauerland!

Jonas Wahle