Quelle: Westfalenpost, Martin Korte
Der Briloner SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Das Amt übernimmt er in schwierigen Zeiten.
Seine erste Reise nach Moskau steht noch an. Der Briloner SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese (34) ist neuer Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Das Amt übernimmt er in schwierigen Zeiten. Sein erstes Interview in der neuen Funktion hat er dieser Zeitung gegeben.
Wir müssen über Ihr Alter und Ihre Erfahrung sprechen. Sie sind 34 Jahre alt und waren noch nie in Moskau. Sollte ein Russland-Beauftragter der Bundesregierung nicht mehr Hintergrund haben?
Wichtig sind neue Impulse. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich unsere Gesellschaften weiter entfremden. Deswegen brauchen wir einen noch engeren Kontakt und Austausch zwischen den Gesellschaften aus beiden Ländern, insbesondere der jüngeren Generation. Wir müssen Menschen zusammenbringen. Meine Erfahrungen als Staatssekretär sind da sehr hilfreich. Und mein Alter auch.
Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Für mich wird es in diesem Amt vor allem darum gehen, den zivilgesellschaftlichen Dialog zu fördern. Schon heute gibt es viele Initiativen im Jugend- und Kulturbereich, aber auch zahlreiche Städtepartnerschaften, wie zum Beispiel zwischen Hagen und Smolensk, Lüdenscheid und Taganrok oder Köln und Wolgograd. Aktuell läuft das Deutsch-Russische Jahr der kommunalen und regionalen Partnerschaften. 2019 finden zudem die Hansetage in Pleskau in Russland statt und 2020 in meiner Heimatstadt Brilon. Diese Initiativen sind das Fundament meiner Arbeit. Mein Ziel ist es, konstruktive und vertrauensvolle Kanäle des Dialogs aufzubauen. Aber auch eine klare und deutliche Sprache zu sprechen, wo es nötig ist. Gerade wo Bürgerrechte eingeschränkt werden und kritische Stimmen unter Druck geraten, dürfen wir nicht schweigen.
Werden die Russen einen Neuling als Gesprächspartner denn ernstnehmen?
Ich habe die Erfahrung gemacht: Wer etwas zu sagen hat und eine klare Sprache spricht, wird auch ernst genommen. Wichtig ist vor allem, dass wir gezielt Gespräche suchen und im Gespräch bleiben. Darauf hat auch Außenminister Heiko Maas hingewiesen: Wir müssen mit Russland im Dialog arbeiten, nicht nur um Konflikte wie in Syrien und der Ukraine zu lösen, sondern um zu verhindern, dass sich unsere beiden Gesellschaften über die politischen Spannungen noch weiter entfremden. Insbesondere mit jungen Menschen, die ihre Zukunft selbst gestalten wollen, kann dies möglich sein.
Sind gewachsene persönliche Kontakte angesichts der aktuellen Spannungen nicht besonders wichtig?
Gewachsene persönliche Kontakte gibt es sicher an vielen Stellen, und trotzdem hat sich die Lage in den letzten Jahren eher verschlechtert. Das Amt des Koordinators für Russland, Zentralasien und den Ländern der östlichen Partnerschaft ist keine One-Man-Show. Hinter mir steht ein Netzwerk aus Mitgliedern des diplomatischen Dienstes, der Wissenschaft und ausgewiesener Experten. Die Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen ist unabdingbar. Ich freue mich jedenfalls darauf, neue persönliche Kontakte aufzubauen und werde in der nächsten Zeit sehr intensiv das Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber vor allem auch aus der Zivilgesellschaft suchen.
Sollten die Sanktionen gegen Russland verschärft werden? Bisher haben sie bezogen auf die Krim-Krise ihren Sinn nicht erfüllt, oder?
Die EU-Sanktionen gegen Russland wurden als Reaktion auf das russische Handeln in der Ukraine erlassen. Sie werden fortlaufend überprüft und gegebenenfalls angepasst. Man darf da auch nicht zu sehr vereinfachen. Wenn Sie den Erfolg der Sanktionen nur an der Frage messen „Wurde die Krim an die Ukraine zurückgegeben?“ mag Ihre Einschätzung zutreffend scheinen. Sanktionen sind aber ein differenzierteres außenpolitisches Instrument. Ihre Zielrichtung ist klar: Zum einen Russland die Konsequenzen seines Handelns vor Augen zu führen. Deswegen verbinden wir die Sanktionen mit einer eindeutigen Politik, die sagt: Wir erkennen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nicht an. Denn Russland hat mit der Annexion einen eklatanten Verstoß gegen die Schlussakte von Helsinki begangen und damit den Grundgedanken der Entspannungspolitik, die Konfrontation abzubauen, konterkariert. Zum anderen sollen Sanktionen Druck auf Russland ausüben und es zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen bewegen. Hier ist leider noch nicht einmal der erste Punkt – ein dauerhafter Waffenstillstand – umgesetzt.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Syrien-Konflikt zu entschärfen?
Unser oberstes Ziel ist und bleibt eine verhandelte politische Lösung des Konflikts. Dafür werden wir alle uns zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel einsetzen, um den politischen Prozess unter Leitung der Vereinten Nationen gemeinsam mit unseren Partnern mit neuem Leben zu füllen. Russland, als einer der wichtigsten Akteure im Syrienkonflikt, wird in diesen Bemühungen eine wichtige Rolle zukommen. Eine Lösung ohne oder gar gegen Russland kann und wird es im Syrien-Konflikt nicht geben. Deswegen suchen wir auch weiterhin das konstruktive Gespräch mit Russland, wollen wir über die Definition gemeinsamer Interessen – allen voran Stabilität – versuchen, erste Schritte in Richtung eines gemeinsamen Ansatzes zu finden. Natürlich müssen wir uns auch unmittelbar darum bemühen, die Lage vor Ort in Syrien zu entschärfen und das Leid der Menschen in Syrien zu lindern. Wie auch für den politischen Prozess ist eine wichtige Voraussetzung hierfür ein landesweiter Waffenstillstand und umfassender humanitärer Zugang.
Ist die Ausweisung von russischen Diplomaten nach dem Giftanschlag auf den Doppelagenten Skripal in London der richtige Weg?
Europa muss zusammen stehen. Es gibt nämlich durchaus Interessen aus verschiedenen Richtungen, den europäischen Zusammenhalt zu schwächen. Dies muss man bei der Entscheidung im Hinterkopf behalten, die nicht leichtfertig getroffen wurde, sondern als Signal der Geschlossenheit mit Großbritannien und in enger Abstimmung mit unseren Partnern, insbesondere Frankreich. Dies zeigt auch unsere Entschlossenheit, solche Anschläge in einem Partnerstaat nicht zu tolerieren.
Sollte der Druck auf Russland durch einen Boykott der Fußball-WM verstärkt werden?
Ich bin kein Freund der Politisierung von Sportereignissen. Gleichzeitig bewegen sich Sportgroßereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland natürlich auch nicht im politikleeren Raum. Ich jedenfalls setze auf eine sportlich herausragende und friedliche Weltmeisterschaft, die dazu beiträgt, Menschen zusammenzubringen – wie 2006 in Deutschland.
Der Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 ist im russischen Interesse. Bietet sich hier ein politischer Hebel oder ist es ein rein wirtschaftliches Projekt?
Deutschland und Europa sind in zunehmendem Maße von Erdgasimporten abhängig. Unsere Eigenproduktion geht zurück. Hinzu kommt, dass die Produktion unseres zweitwichtigsten Lieferanten, den Niederlanden, schneller als erwartet sinkt. Nord Stream 2 ist zuallererst ein kommerzielles Vorhaben der beteiligten Unternehmen, das im Einklang mit geltendem nationalem und internationalem Recht durchzuführen ist. Ich bin mir aber der politischen Implikationen von Nord Stream 2, unter anderem auch mit Blick auf die Ukraine und die Drei-Meere-Initiative, natürlich bewusst.
Sie wollen der Entfremdung der Gesellschaften in Deutschland und Russland entgegenwirken. Wie?
Reden, reden, reden. Wir müssen die jungen Menschen in Russland erreichen. Mit ihnen ins Gespräch kommen. Mit ihnen stabile Beziehungen aufbauen. Sich verfestigenden Vorurteilen entgegenwirken und Inseln der Kooperation schaffen. Die junge Generation ist das soziale Kapital von morgen. Hier müssen wir viel mehr investieren. Dann bietet der Wunsch nach einer friedlichen Zukunft und einem vereinten Europa nicht nur Stoff für Sonntagsreden, sondern wird eine ernstzunehmende und attraktive Realität. Dafür setze ich mich mit aller Kraft ein.