Der Pflegenotstand ist da. Landauf, landab werden mangelnde Fachkraftzahlen, verbesserungswürdigere Rahmenbedingungen und das zu schlechte Image des Pflegestandes beklagt. Das ist mittlerweile bekannt wie anerkannt – von Politik, Gesellschaft und den Pflege-Profis sowieso. Vor einem guten halben Jahr hatte die Caritas Brilon die lokalen Verantwortlichen mit der Situation konfrontiert. Bei einem Runden Tisch Gespräch im Briloner Rathaus wurde jetzt der Fokus auf das Brennpunkt-Thema neu ausgerichtet. Weg vom Lamentieren, hin zum Agieren: Lösungsansätze finden, Chancen erkennen, Solidarität bekunden.
Gemeinsam blickten Brilons Bürgermeister Dr. Christof Bartsch, Bundestagsabgeordneter Dirk Wiese mit Heinz-Georg Eirund (Vorstand Caritasverband Brilon), Günter Willeke (Pflegedienstleiter Caritas-Sozialstation Brilon), Karen Mendelin (Fachbereichsleitung Caritas Alten- und Krankenhilfe Ambulant) und Nils Kampkötter (Fachbereichsleitung Caritas Alten- und Krankenhilfe Stationär und Teilstationär) auf mögliche Angelpunkte und Stellschrauben, die den Pflegenotstand kurzfristig abmildern sowie möglichst langfristig entgegenwirken könnten.
Konzertierte Aktionen mit Würdigung
Bürgermeister Christof Bartsch brachte „konzertierte Aktionen“ gleich gesinnter Interessensgruppen als einen möglichen Baustein ein. Konkret: Lokale Pflege- und Gesundheitseinrichtungen könnten sich als Interessensgemeinschaft zusammenfinden, um gemeinsam eine Kampagne für Pflegeberufe(ne) auf dem Lande zu initiieren. Der Fachkraftmangel im Altkreis ist nicht nur im Pflegesektor Thema. 2,9 Prozent Arbeitslosenquote, nahezu Vollbeschäftigung in der Stadt: „Der Arbeitsmarkt ist abgegrast“, sagte Bürgermeister Bartsch. Kooperation ist ein zukunftsträchtiges Schlagwort – mit Schulen, der Kommune, trägerübergreifend und der freien Wirtschaft, wie es bspw. bereits mit der Unternehmensinitiative Big Six Brilon praktiziert wird. Fachbereichsleiter Nils Kampkötter schlug eine bessere Vernetzung der Unternehmen vor, um Azubis, die nicht im Ausbildungsbetrieb übernommen werden können, andernorts in Arbeit zu bringen.
Als eigenständigen Punkt im Aktionsplan gegen den Pflegenotstand nannte Caritas-Vorstand Heinz-Georg Eirund die „Würdigung der Pflegekräfte beispielsweise zum Neujahrsempfang der Stadt“.
Zufriedenheit stärken: Sozial- und Lokalstation
Fachbereichsleiterin Karen Mendelin führte ein Praxisbeispiel aus den Niederlanden an: Buurtzorg, heißt frei übersetzt Nachbarschaftshilfe / Betreuung. Kleine Teams mit niedrigen Patientenzahlen ermöglichen wieder eine ganzheitliche Vorsorge im gewohnten Umfeld. „Die Verbundenheit ist größer und die Zufriedenheit der Mitarbeiter höher.“ Ein Projekt, das sich lohnen könnte, in einem kleinen Ort auszuprobieren: eine Sozial- und Lokalstation in Personalunion als Alternative zur hektischen Pflege im Minutentakt mit langen Fahrzeiten über Land. Eine Idee, die Bundestagsabgeordneter Dirk Wiese sich mit Blick auf die sogenannte „Land-Milliarde“ zur Stärkung der ländlichen Regionen notierte, um in Berlin nachzuhaken.
Mehr Geld ins System
Grundsätzlich, darin war sich die Runde einig, müsse mehr Geld ins System der Pflege fließen sowie das vorhandene Preis-Leistungs-System neu justiert werden. Am Beispiel: Ein Harnblasenkatheder zulegen wird von der Kasse mit knapp 15 Euro veranschlagt. „Darin enthalten sind das Katheterisieren, die Anfahrt und Dokumentation. All das bedarf einer hohen Fachlichkeit samt hohem Zeitaufwand“, erklärte Fachbereichsleiterin Karen Mendelin. Deshalb können ambulante Pflegedienste nur im Rahmen der von den Kassen vorgegebenen Zeiten agieren. Das heißt, dass oftmals das persönliche Wort zuletzt kommt. „Aber das wollen weder die Patienten noch die Pflegenden. Die Mitarbeitenden sind mit den Herzen dabei. Die Refinanzierung stimmt einfach nicht.“ Das bekräftigte auch Vorstand Eirund: „Nur satt und sauber reicht nicht! Die Menschen brauchen auch das Wort, die Ansprache, vor allem, wenn sie alleinstehend sind.“ Mehr Zeit, also Geld, auch für die zwischenmenschliche Beziehungspflege: „Nur so bekommen wir mehr Pflegekräfte auch und vor allem direkt ans Pflegebett. Wir brauchen mehr Indianer, weniger Häuptlinge. Das muss politisches Ziel sein: die Rekrutierung von Fachpersonal“, forderte Mendelin und Eirund weiter: „Die Stärkung der ambulanten Pflege stärkt auch die Existenz der Dörfer.“
Ausbildung und Zuwanderung
„Das Fachkräfteproblem lösen wir nicht ohne Zuwanderung“, sagte Wiese: „Dafür braucht es Klarheit und Regeln im Zuwanderungsgesetz.“ Und ebenso in der Ausbildung, ergänzte Günter Willeke, Pflegedienstleiter Sozialstation Brilon. „Die Qualitätsansprüche in der Pflege werden immer höher.“ Nicht nur die professionellen Handgriffe müssen sitzen. Auch müssen Häkchen und Buchstaben in strikter Ordnung gesetzt werden, um die Kontrollen der Prüfinstanzen zu bestehen. „Dafür braucht es ebenfalls ein gutes Sprachverständnis“, sagte Willeke.