Bundestag verabschiedet umfassendes Gesetzespaket zu Migration und Integration

11. Juni 2019
Dirk Wiese

Der Bundestag hat am Freitag die zentralen Weichen für eine humanitäre Flüchtlings- und eine moderne Einwanderungspolitik gestellt. Es ist der SPD-Bundestagsfraktion gelungen, mit der Unionsfraktion ein gesetzliches Gesamtpaket zur Migration und Integration zu schnüren, das die richtige Balance findet zwischen Humanität und Realismus, Idealismus und Pragmatismus, Chancengeben und klaren Regeln.

In 2./3. Lesung hat das Parlament sieben Vorhaben im Bereich Migration und Integration beschlossen. In dem Gesetzespaket sind der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Entwurf eines Gesetzes zur Entfristung des Integrationsgesetzes, der Entwurf eines Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetzes, der Entwurf eines Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetzes, der Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, der Entwurf eines Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung und der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) gemeinsam verhandelt worden.

Generell gilt: Diejenigen, die Schutz benötigen, bekommen ihn. Ihnen eröffnet die Koalition frühzeitig und umfassend den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen und zum Arbeitsmarkt. So können sie Deutsch lernen, arbeiten gehen oder eine Ausbildung beginnen. Damit ebnen wir ihnen den Weg, ein Teil unserer Gesellschaft zu werden.

Neben dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das auf massiven Druck der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen wurde, und dem so genannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz sind es vor allem folgende Vorhaben, die die Integrationspolitik voranbringen:

Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes

Mit der Reform werden die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für Menschen im Asylverfahren neu berechnet. Damit setzt die Koalition Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Die Bedarfe im AsylbLG werden vergleichbar mit der Sozialhilfe berechnet, legen aber die Annahme zugrunde, dass die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten.

Die Bedarfe verringern sich beispielsweise bei der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften um die Kosten für die Wohnungsausstattung. Das wird in Zukunft auch für den Bedarf für Strom und Wohnungsinstandhaltung gelten, sodass der jeweils anzuerkennende Bedarf entsprechend niedriger ist.

Aber: So sinken zwar die Geldleistungssätze, materiell werden die Leistungen allerdings voll erbracht. Ganz wichtig: Mit der Anpassung werden Leistungsberechtigte materiell nicht schlechter gestellt.

Daneben schafft die Koalition einen Freibetrag für Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit: Engagiert sich ein Asylsuchender ehrenamtlich und bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, werden Einnahmen aus diesem Engagement nicht auf AsylbLG-Leistungen angerechnet. Ein klares Signal: Wer sich einbringt in unsere Gesellschaft, wird gefördert und belohnt.

Und: Mit der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes schließt der Gesetzgeber eine gravierende Förderlücke: Bisher gibt es eine Lücke in der Unterstützung für studier- und ausbildungswillige Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Geduldete. Nach Ablauf der Aufenthaltsdauer von 15 Monaten werden die Leistungssätze im AsylbLG so berechnet wie in der Sozialhilfe (Sozialgesetzbuch XII). Wer sich in einer Ausbildung befindet oder ein Studium absolviert und auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist, muss anstelle von Sozialhilfe eine Ausbildungsförderung (Bafög oder Berufsausbildungsbeihilfe) beantragen.

Sie steht allerdings vielen Geflüchteten gar nicht offen. So fallen sie in eine „Förderlücke“, in der keines der Sicherungssysteme greift. Diese Lücke führt bislang aus finanziellen Gründen häufig zu Studien- und Ausbildungsabbrüchen. Damit wird jetzt Schluss sein. In Zukunft sind sie auch nach dem 15. Monat weiter anspruchsberechtigt. Von der Neuregelung profitieren auch Asylbewerber und Geduldete, die eine berufliche oder weiterführende Schule besuchen und als Inländer Schüler-Bafög beziehen würden. Das hat die SPD-Fraktion durchgesetzt.

Entfristung des Integrationsgesetzes

Wesentliche Regelungen des Integrationsgesetzes von 2016 waren befristet und würden im Sommer dieses Jahres auslaufen – darunter der Wegfall der Vorrangprüfung für Geduldete und Gestattete sowie die Wohnsitzregelung. Diese Regelungen werden nun entfristet. Per Verordnung der Bundesregierung wird die Vorrangprüfung für Geduldete und Gestattete dauerhaft ausgesetzt. Zudem können sie immer in Leiharbeitsverhältnissen beschäftigt werden.

Das Parlament hat jetzt ein Gesetz beschlossen, mit dem die Wohnsitzregelung entfristet wird. Die Wohnsitzregelung verpflichtet anerkannte Asylbewerber, für drei Jahre ab Anerkennung ihren Wohnsitz in dem Land zu nehmen, in das sie zur Durchführung ihres Asylverfahrens oder im Rahmen ihres Aufnahmeverfahrens zugewiesen worden sind.

Die Bundesländer können zudem Regelungen zur Binnenverteilung treffen. Die Betroffenen unterliegen aber keiner Residenzpflicht, d. h. sie können sich im gesamten Bundesgebiet frei bewegen.

Außerdem greift die Wohnsitzregelung nicht bzw. wird wieder aufgehoben bei Beschäftigung, Studium oder Ausbildung.

Im Zuge dessen wird auch die ebenfalls mit dem Integrationsgesetz eingeführte Haftungsbeschränkung der Verpflichtungsgeber für den Lebensunterhalt eines Ausländers auf drei statt fünf Jahre für vor dem 6. August 2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen entfristet. Das ist ein wichtiges positives Signal an alle, die sich für Asylbewerber engagieren.

Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz

Mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz wurde 2016 die Grundlage geschaffen, Asyl-und Schutzsuchende sowie Ausländerinnen und Ausländer, die unerlaubt nach Deutschland einreisen oder sich unerlaubt aufhalten, frühzeitig zentral zu registrieren sowie die Daten den öffentlichen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung zur Verfügung zu stellen.

Mit dem Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetz ertüchtigt der Gesetzgeber nun das Ausländerzentralregister (AZR). Alle relevanten Behörden können künftig unkomplizierter auf das AZR zugreifen. Zum Beispiel erhalten einige weitere Behörden die Möglichkeit, Daten automatisiert abrufen zu können. Die Nutzung der AZR-Nummer wird den öffentlichen Stellen im Datenaustausch untereinander zum Zweck der eindeutigen Zuordnung ermöglicht, bis zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU.

Das AZR soll so genutzt werden können, dass die Aufgaben, die nach der Verteilung auf die Länder und Kommunen bestehen, besser organisiert und gesteuert werden können. Ziel des verbesserten Datenaustausches zwischen den Behörden ist es auch, Rückführungen und freiwillige Ausreise effektiver steuern zu können.

Wichtig: Verbesserungen hat die SPD-Fraktion im parlamentarischen Verfahren insbesondere an zwei Stellen erreicht: Bei der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen und der Abnahme von Fingerabdrücken bei Minderjährigen bleibt es zwar auch mit Blick auf die Entwicklung europäischer Regelungen bei der Herabsenkung des Alters von 14 auf sechs Jahre. Die erkennungsdienstlichen Maßnahmen erfolgen aber im Beisein des Jugendamtes und in kindgerechter Weise.

Um datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten bei den automatisierten Abrufmöglichkeiten Rechnung zu tragen, unrechtmäßige Abrufe zu verhindern und die automatisierten Abrufe besser kontrollieren zu können, hat die abrufende Stelle in Abstimmung mit der oder dem jeweiligen Datenschutzbeauftragten ein Berechtigungskonzept vorzusehen.

Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz

Durch das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz schafft die Koalition zunächst eine bessere Ausbildungsförderung für alle Ausländerinnen und Ausländer. Bisher ist der Zugang zur Förderung von Berufsausbildung und Berufsausbildungsvorbereitung im Sozialgesetzbuch II und Sozialgesetzbuch III deutlich eingeschränkt und an Bedingungen, beispielsweise Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus oder Voraufenthaltszeiten geknüpft.

Künftig wird die Förderung von Berufsausbildungsvorbereitung und Berufsausbildung weitgehend unabhängig von aufenthaltsrechtlichen Vorgaben geregelt und für Ausländerinnen und Ausländer deutlich geöffnet.

Des Weiteren können Geflüchteten, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt in Deutschland zu erwarten ist, bestimmte Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (zum Beispiel Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, Leistungen aus dem Vermittlungsbudget, Potenzialanalyse) bereits im Vorfeld eines Arbeitsmarktzugangs gewährt werden. Diese Regelung soll entfristet und systematisch in die allgemeinen Regelungen integriert werden.

Zudem erweitert die Koalition die Möglichkeiten für Gestattete (d. h. im Asylverfahren befindliche Menschen) und Geduldete (d. h. zumeist nach abgelehntem Asylantrag, aber vorübergehender Aussetzung der Abschiebung), an Integrations- und (berufsbezogenen) Sprachkursen teilzunehmen.

Denn für die SPD-Fraktion steht fest: Wer auf absehbare Zeit bei uns bleiben wird, soll nicht beschäftigungslos und passiv sein, sondern die Möglichkeit bekommen, unsere Sprache zu lernen, sich einzubringen und in unserer Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Darüber hinaus schafft die Koalition die gesetzliche Grundlage dafür, dass das Arbeitslosengeld bei Teilnahme an Integrationskursen und an berufsbezogener Deutschsprachförderung anders als bisher fortgezahlt werden kann. Voraussetzung ist, dass die Agentur für Arbeit feststellt, dass die Teilnahme für eine dauerhafte berufliche Eingliederung notwendig ist. Selbstverständlich ist dann auch die Teilnahme an diesen Kursen verpflichtend.

In den Verhandlungen hat die SPD-Fraktion hier Verbesserungen für die sich bereits in Deutschland befindlichen Menschen im Asylverfahren durchgesetzt. So eröffnet die Koalition den Zugang zu Integrationskursen und zur berufsbezogenen Sprachförderung für alle arbeitsmarktnahen Gestatteten, die bis zum 1. Juli 2019 eingereist sein werden, bereits nach drei Monaten.

Bei Frauen mit Erziehungspflichten ist das Kriterium „Arbeitsmarktnähe“ nicht erforderlich. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war der Zugang erst nach neun Monaten vorgesehen. Nach diesem Stichtag erhalten allerdings nur noch Gestattete mit guter Bleibeperspektive (nach neun Monaten Vorgestattungszeit) oder nur nach positivem Bamf-Entscheid Zugang.

Zudem erweitert die Koalition den Zugang zur Ausbildungsförderung im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung erheblich. Alle Geduldeten und Gestatteten, die zum 1. Juli 2019 eingereist sein werden, werden bereits nach drei Monaten Zugang zur assistierten Ausbildung und zu berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen erhalten. Nach diesem Stichtag erhalten Gestattete diesen Zugang wie im Gesetzentwurf vorgesehen nach 15 Monaten, Geduldete nach neun Monaten.

Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung

Mit dem Entwurf eines Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung bekommen gut integrierte Geduldete, die unsere Sprache sprechen, eine Ausbildung machen oder arbeiten, eine verlässliche Bleibeperspektive. Wesentliche Voraussetzungen der bereits bestehenden Ausbildungsduldung (3+2-Regelung) werden gesetzlich konkretisiert, um endlich eine bundeseinheitliche Anwendungspraxis zu erreichen.

Zudem werden in die Ausbildungsduldung staatlich anerkannte Helferausbildungen einbezogen, soweit darauf eine qualifizierte Ausbildung in einem Mangelberuf folgt. Darüber hinaus werden mit der neu geschaffenen Beschäftigungsduldung klare Kriterien für einen verlässlichen Status Geduldeter definiert, die durch ihre Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern und gut integriert sind. Mit der dreißigmonatigen Beschäftigungsduldung erhalten Arbeitgeber sowie Geduldete und ihre Familien Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

Auch hier konnten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in den Verhandlungen wesentliche Verbesserungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung durchsetzen.

Bisher wäre die Beschäftigungsduldung zum 1. Juli 2022 ausgelaufen. Die SPD-Fraktion hat durchgesetzt, die Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2023 zu verlängern. Gleichzeitig gibt es einen Stichtag: Eine Beschäftigungsduldung können alle erhalten, die bis zum 31. August 2018 eingereist sein werden und die weiteren Voraussetzungen der Beschäftigungsduldung erfüllen (u. a. seit zwölf Monaten im Besitz einer Duldung, seit 18 Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden pro Woche). Durch diese Stichtagsregelung in Verbindung mit der Verlängerung der Geltungsdauer wird der Kreis derjenigen erweitert, die von einer Beschäftigungsduldung profitieren können.

Bei der Ausbildungsduldung haben die Sozialdemokraten durchgesetzt, die Vorduldungszeit deutlich zu reduzieren. Geduldete können eine Ausbildungsduldung künftig bereits erhalten, wenn sie seit drei Monaten im Besitz einer Duldung sind. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war das erst nach sechs Monaten vorgesehen. Das schafft Sicherheit für Geduldete und Unternehmen zugleich.