Statement von Dirk Wiese zur aktuellen Atomenergie-Debatte

4. August 2022

„Es gehört zu einer verantwortungsvollen Politik, immer wieder Entscheidungen zu hinterfragen und gerade in Krisenzeiten auch alle Optionen zu prüfen. Deshalb prüft die Bundesregierung aktuell auch im Rahmen eines zweiten Stresstests, inwieweit z. B. durch einen weiteren Ausfall französischer Atomkraftwerke eine Versorgungslücke in dem energiepolitisch schlecht aufgestellten Bayern drohen würde bzw. im Rahmen europäischer Solidarität ein Streckbetrieb deutscher Atomkraftwerke sinnvoll wäre. Die Ergebnisse werden Ende August vorliegen.

Bereits kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben da Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium ergebnisoffen und im Dialog mit den Kraftwerkbetreibern geprüft, ob die noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 weiter betrieben werden sollen bzw. können. Das Ergebnis war deutlich. Dem Nutzen einer längeren Laufzeit der AKW stehen sehr hohe gesamtgesellschaftliche Kosten und erhebliche Risiken gegenüber. Hinzu kommt, dass je länger an Atomenergie festgehalten wird, desto langsamer gestaltet sich eine systemische Umstellung auf Erneuerbare Energien.

Die drei noch am Netz befindlichen AKW decken im Strombereich mit insgesamt 4.300 Megawatt Leistung im Durchschnitt rund 30 TWh pro Jahr ab. Dies entspricht rund fünf Prozent der deutschen Stromproduktion. Bei einem Gasmangel liegen die Herausforderungen in der Industrie und der Wärmebereitstellung, nicht im Stromsektor. Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke ersetzen höchstens ein Prozent des Erdgasbedarfs. Daher ist es sinnvoller Gaskraftwerke zur Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke zu ersetzen, da diese besser hoch- und heruntergefahren werden können, wenngleich auch sie sich hierfür schlechter eignen als Gaskraftwerke.

Nach internationalen Sicherheitsstandards wäre 2019 eine vertiefte Sicherheitsprüfung bei den AKWs nötig gewesen. Diese wurden ausnahmsweise übersprungen, weil eine Abschaltung spätestens Ende 2022 erfolgen sollte. Bei einem Weiterbetrieb wäre eine Sicherheitsprüfung zwingend erforderlich, da die letzte 2009 stattgefunden hat. Diese Prüfungen sind ein mehrjähriger Prozess, der in der Folge erhebliche Investitionsbedarfe in die Sicherheitstechnik nach sich zieht. Ausfallzeiten sind dabei nicht auszuschließen. Des Weiteren sind Anlageinhaber nicht bereit, die Sicherheitsrisiken bei einer Laufzeitverlängerung zu tragen. Für den Fall eines Weiterbetriebs aufgrund einer akuten Notfallversorgung, muss der Staat aus Sicht der Betreiber die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken übernehmen. Damit lägen alle Risiken und Kosten beim Staat und damit bei der Allgemeinheit.

Selbst neben all diesen Tatsachen zeigt nur ein Blick nach Frankreich, dass AKWs keine Versorgungssicherheit garantieren. Die Hälfte der 56 AWKs dort steht aktuell aufgrund von Korrosionen, Rissbildungen und Kühlwassermangel wegen Trockenheit nicht zur Verfügung. Die Gründe, die gegen einen generell Weiterbetrieb der AKWs stehen, sind vielfältig und stehen nicht im Verhältnis zum Nutzen. Dass Markus Söder und Friedrich Merz diese Scheindebatte jetzt so massiv vorantreiben, beruht nicht auf Fakten, sondern soll von den eigenen Fehlentscheidungen ablenken und die Verantwortung verschieben: Gerade die CSU-geführte Landesregierung hat in den letzten Jahren den Ausbau der Erneuerbaren Energien erschwert.“