Hochsauerlandgespräch: Wohnen und Bauen auf dem Land – Perspektiven und Herausforderungen
Der demografische Wandel hat in ländlichen Räumen zu einschneidenden Veränderungen des Wohnungsbedarfs geführt. Regionen wie etwa der Hochsauerlandkreis sind zunehmend geprägt von Einfamilienhäusern, während gleichzeitig ein Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen sowie Möglichkeiten für altersgerechtes Wohnen und alternativen Wohnformen entstanden ist.
Die Lösung dieser Problematiken gehört zu einer umfassenden Wohnungsbaupolitik. Die damit verbundenen Fragestellungen sind allerdings vielfältig. Das schon traditionell vom SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese moderierte „Hochsauerlandgespräch“ des Landesbüros NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) näherte sich den entsprechenden Themenkreisen an. Unter dem Leittitel „Wohnen und Bauen auf dem Land – Perspektiven und Herausforderungen“ erörterten diskutierten Klara Geywitz (Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, SPD), Dr. Stefanie Wieland (stellvertretende Leiterin im Landesbetrieb Wald und Holz NRW) und Peter Wagner (Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft Hochsauerland) im Olsberger „Zentrum Holz“ unterschiedlichste Aspekte der momentan viel diskutierten Grundsatzthematik.
Nach der Begrüßung durch „Hausherr“ Matthias Eisfeld vom Informations- und Demonstrationszentrum Erneuerbare Energien (I.D.E.E.) Holz in der „Schwerpunktregion der Forst- und Holzwirtschaft“ stimmte FES-Landesbüro-Leiter Severin Schmidt das gut gefüllte Auditorium auf die Podiumsveranstaltung ein. „Bauen muss schnell gehen, nachhaltig sein, energieeffizient, bezahlbar – alle diese Ziele sollen immer zusammen erreicht werden, und im besten Fall soll es auch noch schön sein“, skizzierte Schmidt in seinem Grußwort an Teilnehmer und Publikum die weitverbreiteten Erwartungen an Bauprojekte jeglicher Art und schlussfolgerte: „Bauen ist ein sensibles, extrem wichtiges und emotionales Thema.“
In ihrem nachfolgenden Impuls mischte Bundesministerin Geywitz Beschreibungen von durchaus zahlreichen Schwierigkeiten in der Baubranche mit Zuversicht verbreitenden Botschaften. Die Brandenburgerin gestand zwar ein, dass die Verbindung ihrer ausgerufenen Ziele vom Bau von jährlich 400.000 Wohnungen und der klimapolitisch erstrebenswerten Senkung des CO2-Ausstoßes im Gebäudesektor „fast die Quadratur des Kreises“ bedeuteten würden, pries vor dem aufmerksamen Fachpublikum jedoch beinahe im gleichen Atemzug den Rohstoff Holz als „Teil der Lösung“ sowie „wichtigen Schlüssel“. Die mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium ergriffene „Holzbau-Initiative“ vereinfache den Bau mit Holz in Kombination mit Rücksicht auf Nachhaltigkeit. Im Baubereich bestehe damit sogar aufgrund der Holzeigenschaft als Kohlendioxid-Speicher die Chance, „nicht nur klimaneutral. Sondern sogar klimapositiv“ zu werden.
Für das oft zitierte „Leben auf dem Land“ mit insgesamt 1,7 Millionen leerstehenden Wohnungen zeigte Geywitz ebenfalls Perspektiven auf. Die 47-Jährige beklagte das unzutreffende Image vom Land als „Dorf mit einer Schulbushaltestelle als einziger Infrastruktur“. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie hätten viele Menschen das Land als neuen „Sehnsuchtsort“ für sich entdeckt, und zusammen mit den zahlreicheren Home-Office-Möglichkeiten sei „neues Potenzial für mehr Attraktivität“ entstanden. „Der Abgesang auf die ländlichen Gebiete ist deswegen verfrüht gewesen, die Entwicklung verläuft entgegen aller früheren Negativprognosen.“
Besonders auch „auf dem Land“ existierene Problemfelder wie beispielsweise Wohnmöglichkeiten für Senioren begegne die Bundesregierung im kommenden Jahr durch eine Verdopplung der Mittel für den altersgerechten Umbau von Häusern auf 150 Millionen Euro, erläuterte Geywitz und betonte prinzipiell: „Diese Bundesregierung weiß, dass es darauf ankommt, sich nicht nur auf Städte zu konzentrieren, sondern auch auf den ländlichen Bereich, weshalb die Hälfte aller Mittel für die Städtebauförderung in kleinere Städte fließt, weil sie als Ankerzentren eine wichtige Funktion für die umliegenden Dörfer haben.“
Die individuellen Voraussetzungen im ländlichen Raum sollen auch bei der Wärmeplanung Berücksichtigung finden, versprach Geywitz: „Wir müssen in der Debatte verstehen, dass wir in Deutschland 19 Millionen unterschiedlich Häuser haben, da ist Differenzierung wichtig und kann es nicht nur eine Lösung geben. Weil die kleineren Kommunen nur begrenzte Planungskapazitäten haben, sind in dem geplanten Gesetz auch die Anforderungen an sie niedriger.“
In der durch zahlreiche Fragen aus dem Publikum bereicherten Diskussion auf dem Podium bestätigte Dr. Wieland die Positionen der Ministerin in der Holzfrage. „Moderner Holzbau und Holztechnologie haben Lösungen für alle anstehenden Bauaufgaben, ob Sanierung oder Aufstockung, Nachverdichtung, Ein- oder Mehrfamilienhaus, kommunales, öffentliches oder gewerbliches Bauen“, verdeutlichte die Wissenschaftlerin. Ihrer Einschätzung zufolge sei Holz „kosteneffizient und ein wichtiger Baustein für die Klimaneutralität“, weshalb der Wald „nicht aus dem Blick verloren werden“ dürfe, sagte die gelernte Schreinerin: „Ohne den Baum als Ressource ist Holzbau nicht möglich. Deswegen ist eine Flächenstilllegung nicht der richtige Weg.“
Wagner hält Holz aus Sicht von Wohnungsbauern als „für den seriellen Rohbau sehr interessant“ an. Der geschickte und optimierte Einsatz dieses nachwachsenden Rohstoffes könnte eine „Kostenersparnis von zehn bis 25 Prozent“ bewirken, führte der Unternehmer dazu aus.
Sparpotenziale werden Wagners Beschreibungen nach in der Wohnungsbau-Branche auch händeringend gesucht. „Aufgrund der deutlich höheren Zinsen und der gestiegenen Kosten für Bauprojekte erfolgt im Sauerland kein Bauen mehr“, schilderte Wagner die Lage. Das von der NRW-Landesregierung geplante Ende des Programms zur Senkung der Grunderwerbssteuer für junge Familien oder die beabsichtigte Einführung von Abgaben auf Sand und Kies würden die Situation nur noch weiter verschärfen.
Bei der Suche nach Lösungsansätzen sieht Wagner vorrangig die öffentliche Hand am Zuge. Als wirksame Instrumente wünschte sich Wagner dabei eine Mischung aus direkten Finanzhilfen wie höhere Zuschüsse für vor allem im sozialen Wohnungsbau und indirekter Unterstützung wie degressive Abschreibungsmöglichkeiten. Zusätzliche Impulse verspricht sich der Finanzexperte außerdem auch von einer dauerhaften Reduzierung der Grunderwerbssteuer und Vereinfachungen im Baurecht und anderer relevanter Vorschriften: „Der Abbau von Bürokratismus war schon vor 50 Jahren ein Thema. Dazu braucht es auch Mut – aber wenn nicht jetzt, wann denn dann?“
So eindringlich Wagner die Probleme der Bauwirtschaft darstellte, so nachdrücklich nahm der Westfale Geywitz und das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz aus der Verantwortung für die Auslösung der Misere: „Die jetzige Regierung ist nicht an der Situation schuld. Man muss sich vielmehr die Frage stellen, wer und wieso jahrelang da hineingeschlittert ist und nicht reagiert hat.“
Reagieren will Geywitz – auch auf in Olsberg vorgeschlagenen Themengebieten. Die Potsdamerin stellte etwa Lockerungen der Bauvorschriften dahingehend in Aussicht, so dass „nicht jedes Mal ein Mercedes als Gebäude hingestellt werden muss“. Ihren Einsatz in Berlin versprach Geywitz auch im Zusammenhang mit dem geplanten Wachstumschancengesetz für „Stellschrauben“ zur Belebung der Bauwirtschaft wie etwa bei den Themen Abschreibungen oder kapitalverstärkende Darlehen. Auch für den seriellen Bau mit Holz will die Regierungsvertreterin „Anstöße“ geben, aber diese Ressource aus klimapolitischen Erwägungen heraus auch grundsätzlich verstärkt in den Fokus von Bauherren und Bauunternehmern rücken.
Geywitz ließ im Sauerland auch Verständnis für die Sorgen der Baubranche erkennen, ging aber zugleich von einer raschen Erholung des bedeutenden Wirtschaftszweiges aus: „Durch den Krieg in der Ukraine, die besonders durch die Inflation gestiegenen Kosten und die höheren Zinsen herrscht ein kurzfristige Schocksituation und es laufen noch entsprechende Anpassungsprozesse, aber der Abbau von Kapazitäten wäre falsch, denn es gibt in den nächsten Jahren auf jeden Fall auf unterschiedlichsten Gebieten noch ohne Ende Nachfrage für Bauleistungen.“
Geywitz scheute im Sauerland auch nicht die Thematisierung des bisherigen Jahresverlauf hitzig und kontrovers diskutierten Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG), das zumeist Heizgesetz genannt wird. Dabei trat die Ministerin Spekulationen über kostspielige Modernisierungen der vielen Gebäude mit energetischen Klassifizierungen in den beiden untersten Klassen entgegen: „Wir setzen auf staatliche Förderungen von Sanierungen, und zugleich lehne ich eine staatliche Sanierungspflicht über europäischen Standard hinaus ab.“
Auch vor dem Hintergrund künftiger GEG-Auswirkungen hoffte Geywitz abschließend auf einen Koppeleffekt der Bemühungen um den „Einstieg in den Umstieg“ zur Klimatransformation einerseits und Impulse für Wirtschaft und Baubranche andererseits: „Angesichts der dramatischen Entwicklungen der Mieten müssen wir aus sozialen Gründen für mehr Wohnraum sorgen.“
Moderator Wiese sagte in seinem Schlusswort zeitnahe Anstrengungen seiner Partei zur Belebung der Baukonjunktur mit dem Bewusstsein der Vorteile von Holz zu: „Wir sehen Holz als Teil der Lösung an, und auch wenn die Haushaltssituation für 2024 nicht einfach ist, weil die Schuldenbremse wieder eingehalten werden muss, müssen wir Impulse für die Bauwirtschaft geben“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.
Dietmar Kramer, Journalist