HSK-SPD erinnert zum 80. Jahrestag an die Reichstagsrede von Otto Wels am 23. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz
Meschede / Berlin. Anlässlich des 80. Jahrestages erinnert die HSK-SPD an die historische Reichstagsrede des Fraktionsvorsitzenden der SPD Reichstagsfraktion Otto Wels (geb. 1873 in Berlin, gest. 1939 im Pariser Exil) zur Ablehnung des sogenannten Ermächtigungsgesetzes durch die deutschen Sozialdemokraten.
Am 30. Januar 1933 hat Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Wir wissen heute, dass damit der Weg in die Diktatur begann. Schritt für Schritt wurden die politischen Gegner ausgeschaltet. Dabei bemühte sich das Regime ihrem Handeln ein legales Mäntelchen umzuhängen. Die nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar erlassene sogenannte Reichstagsbrandverordnung beispielsweise setzte die Grundrechte außer Kraft. Damit begann die verstärkte Verhaftung von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen politisch unliebsamen Personen. Zeitungen und Veranstaltungen politischer Gegner konnten verboten werden. All dies geschah überall im Reich auch im Sauerland. Aber noch immer waren die politischen Gegner nicht völlig ausgeschaltet. Selbst in dem kleinen Ort Hallenberg konnten noch sozialdemokratische Veranstaltungen stattfinden.
Die NSDAP und ihr Koalitionspartner die Deutschnationale Volkspartei hatten nach der, schon nicht völlig freien, Reichstagswahl vom 5. März 1933 im Parlament eine Mehrheit. Sie hätten erstmals nach dem Ende der Regierung des letzten sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller und der folgenden, auf Notverordnungen gestützten, Präsidialkabinette eine stabile parlamentarische Mehrheit bilden und ihre Ziele weitgehend umsetzen können.
Daran waren die Nazis nicht interessiert, sie wollten die Demokratie und die verhasste Weimarer Reichsverfassung beseitigen. Auch dies sollte in scheinbar legalen Bahnen verlaufen. Das Parlament sollte perfider Weise seine eigene Entmachtung beschließen. Dazu legte die Regierung das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“, vor. Nach diesem Gesetzentwurf durfte die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze erlassen, deren Inhalt von der Verfassung abweichen konnte.
Die Debatte und Abstimmung fand in der Reichstagssitzung am 23.März 1933 in der Kroll Oper statt. Die gewählten kommunistischen Abgeordneten konnten ihre Sitze im Parlament gar nicht erst einnehmen. Viele von ihnen waren bereits in Haft. Auch einige Sozialdemokraten waren schon inhaftiert. Andere lagen infolge nazistischer Übergriffe im Krankenhaus, waren untergetaucht oder bereits im Exil. Carl Severing und Julius Leber zum Beispiel wurden noch auf dem Weg zur Sitzung verhaftet. Von den eigentlich 120 sozialdemokratischen Abgeordneten konnten daher nur 94 anwesend sein.
Vor dem Gebäude übte eine fanatische Menge Druck auf die Abgeordneten aus. Die Rückwand hinter dem Präsidium war mit einer riesigen Hakenkreuzfahne verhängt, die NSDAP Abgeordneten waren im Braunhemd erschienen und überall stand die SA und SS.
Um das Gesetz durch zu bringen, benötigte die Regierung eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit und damit die Zustimmung auch von Teilen der Opposition. Die wenigen verbliebenen liberalen Abgeordneten von Zentrum und Bayerischer Volkspartei stimmten dem Gesetzentwurf aus unterschiedlichen Gründen zu.
Damit hatte der deutsche Parlamentarismus seinen absoluten Tiefpunkt erreicht. Die Abgeordneten haben die letzten Barrieren zur unumschränkten Diktatur freiwillig eingerissen. Es waren nur die Sozialdemokraten, die geschlossen gegen das Gesetz stimmten. Ihre Beweggründe hat ihr Fraktionsvorsitzender Otto Wels zuvor in einer mutigen Rede deutlich gemacht:
„Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel, aber, dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug.“ (…)
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Nach den Verfolgungen, die die sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird niemand von ihr billigerweise verlangen und erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt.“ (…)
„Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.“
Die Rede von Otto Wels ist zweifellos eine Sternstunde in der Zeit der tiefsten Erniedrigung des deutschen Parlamentarismus. Gleichzeitig ist sie trotz der politischen Repression der voran gegangen Monate getragen von Bekennermut und ungebrochener Hoffnung auf „eine hellere“ Zukunft.
Die HSK-SPD gedenkt der Rede und der geschlossenen Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch die sozialdemokratischen Abgeordneten als einem mutigen Bekenntnis zur Demokratie und der Ablehnung der Diktatur. Sigmar Gabriel ist zuzustimmen, wenn er sagt, dass dies „vielleicht der stolzeste Moment ist, den es in der Geschichte der Sozialdemokratie gegeben hat.“
Die Ereignisse sind für uns aber auch Auftrag: Wir müssen alles tun, damit antidemokratische Kräfte bei uns nie wieder Fuß fassen können! Dass die Region keine Insel der Seligen ist, haben die Aktivitäten der neonazistischen Sauerländer Aktionsfront vor einigen Jahren gezeigt.
Dass auch heute noch die Demokratie nicht gefeit davor ist, sich selbst in Frage zu stellen, machen die vom ungarischen Parlament jüngst beschlossenen Verfassungsänderungen deutlich. Für die HSK-SPD ist es unabdingbar, dass Bundesregierung und EU unmissverständlich deutlich machen, dass die Mitgliedschaft in der EU nur auf Basis von Demokratie und Rechtsstaat möglich ist!
Foto: AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung.